R. Berndt (Hrsg.) «Eure N amen sind im Buch des Lebens geschrieben»

Cover
Titel
Eure N amen sind im Buch des Lebens geschrieben. Antike und mittelalterliche Quellen als Grundlage moderner prosopographischer Forschung


Herausgeber
Berndt, Rainer
Reihe
Erudiri sapientia 11
Erschienen
Münster 2014: Aschendorff Verlag
Anzahl Seiten
528 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Alois Steiner

Im Lukas-Evangelium (Kapitel 10, Vers 20) richtet Jesus im Anschluss an die Rückkehr der 72 ausgesandten Jünger das berühmte Wort: «Freuet euch, dass eure Namen im Buch des Lebens geschrieben sind». Von Origenes (3. Jhdt.) bis zu Thomas von Aquin (13. Jhdt.) wird diese Stelle immer wieder zitiert.

Grundlage dieser Publikation war eine Tagung, die vom 23.–25. März 2011 im «Erbacher Hof» in Mainz durchgeführt wurde. Sie stand unter dem Titel: «Freuet euch, dass eure Namen im Buch des Lebens geschrieben sind.» Dr. José Luis Narvaja SJ, Professor für Patrologie an den Facultades San Miguel bei Buenos Aires und Gastprofessor an der Jesuitenhochschule in Frankfurt am Main, hat das Programm entworfen und das Treffen eingeleitet. Narvaja führte in seiner Begrüssung aus: «Es ist das Ziel jedes Gläubigen, dass sein Name vom Herrn ins Buch des Lebens geschrieben werde. Um dessen würdig zu sein, soll der Mensch sein ganzes Leben gottgefällig führen. Über das ‹Buch des Lebens› hinaus, in das die Namen der Gerechten geschrieben werden, kennen wir aus der Spätantike und dem Mittelalter noch andere Bücher, in die Namen – die aus irgendeinem Grunde ausgezeichnet waren – eingetragen wurden, wie beispielsweise Martyrologien, Kalendare und Nekrologe.»

Im Mittelpunkt der Tagung stand die Frage, inwieweit Formen antiker und mittelalterlicher Personengeschichtsschreibung für prosopographische Ansätze nutzbar gemacht werden können. Unter Prosopogr-phie versteht man die Personengeschichtsforschung nach historischen, soziologischen, wirtschaftlichen und kulturellen Aspekten und Zielsetzungen. Drei Aspekte standen zur Diskussion: 1.) die Namen, 2.) die Bücher, in die diese Namen eingetragen werden, 3.) die Schreiber, die diese Namen in die Bücher eintragen. Die drei «Religionen des Buches» – Judentum, Christentum und Islam – haben die Schriftlichkeit dazu benutzt, die Namen ihrer Gläubigen vor dem Vergessen zu bewahren.

Zwanzig Forscherinnen und Forscher haben sich an der Tagung mit diesen Fragen beschäftigt. Wir greifen einige Aspekte heraus: Gesine Klintworth beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit der Identifizierung von Äbten auf dem Vierten Kreuzzug und versucht, durch genaue Nachforschung Verwechslungen von geistlichen Personen zu klären. Solche Verwechslungen sind in der Zeit der Erstellung dieser Kreuzfahrerberichte durch ungenaue Angaben zu den einzelnen Persönlichkeiten entstanden. So ist z.B. der Abt Martin von Saint-Magloire/Paris eindeutig ein Phantom-Abt, den es in diesem Kloster nie gegeben hat. Hanns Peter Neuheuser beschäftigt sich mit der im Mittelmeerraum ausgeprägten Erzähltradition, das Wirken Gottes in der Heilsgeschichte und an seinem Volk mit den Namen von Personen und Amtsträgern zu verknüpfen. Diese Vorgehensweise führte alsbald zur Kultu-technik der Verschriftlichung. Wichtigstes Beispiel ist die Liste der Bischöfe von Rom. Sie versucht, die Sukzession im Petrusamt nachzuweisen. Bereits die älteste bekannte, bis Eleutherius reichende Papstliste des Irenäus von Lyon zeigt diese theologische Intention durch die Kommentierung an: «Hac ordinatione et successione ea quae est ab apostolis in ecclesia traditio et veritatis praeconatio pervenit usque ad nos» (Irenaeus Lugdunensis, A-versus haereses, III, 3 3, S. 34).

Im Hohen Mittelalter war Hugo von Saint-Victor als einer der wegweisenden Autoren mit Literaturgattungen und Textsorten beschäftigt. Sein bahnbrechendes Werk war sein Didascalion. Während im Didascalion nur die Papstnamen Leo und Gelasius erwähnt sind, kommt Hugo im Libellus de formatione arche auch auf die Petrusnachfolger zu sprechen: «Deinde post Petrum sequitur Clemens, Anacletus, Evaristus, Alexander .... etc». Hugo von Saint-Victor kennt die Tradition einer Rückführung der Messfeier und der Messtexte in apostolische Zeit und erwähnt die päpstliche Intervention als kreative, in jedem Falle legitime Fortsetzung dieser Überlieferung.

Robert Gramsch schildert in seinem Beitrag die prosopographische Auswertung der päpstlichen Individualbiographien. Diese Auswertung kann am ehesten aus dem Repertorium Germanicum entnommen werden, das seit 1892 an der Historischen Station, dem späteren Königlich-Preussischen und heutigen Deutschen Historischen Institut in Rom entsteht. Unter dem Repertorium Germanicum versteht man das «Verzeichnis der in den päpstlichen Registern und Kameralakten vorkommenden Personen, Kirchen und Orte des deutschen Reiches; seiner Diözesen und Territorien vom Beginn des Schismas 1378 bis zur Reformation». Das Werk ist noch immer nicht vollendet. Berühmte Mediävisten haben Jahrzehnte daran gearbeitet. Grundlage dieses kolossalen Editionswerkes ist die vatikanische Überlieferung, insbesondere deren Briefeingangs- und -ausgangsregister, die abschriftlich einen repräsentativen Ausschnitt aus dem gesamten kurialen Briefverkehr enthalten. Die älteren Register, beginnend ab 1198 (Pontifikat Innozenz III.) bis 1378 sind in der Edition der Ecole de Rome ediert worden, daran anschliessend setzt das Repertorium Germanicum ein, welches lediglich deutsche Briefe erfasst und mittlerweile bis 1471 reicht. Studienbiographien lassen sich für deutsche Kleriker des 15. Jhdt. aufgrund der fast geschlossen erhalten gebliebenen Matrikelüberlieferung deutscher Universitäten recht gut ermitteln. Auch das Repertorium Germanicum kann wichtige Hinweise geben, etwa Studienorte und Promotionen in Italien. Vor allem aber lässt das Repertorium Germanicum erkennen, zu welchem Zweck man studierte, nämlich um die Berufs- und Pfründenkarriere voranzutreiben. Graduierungen verschafften Vorteile beim Pfründenerwerb. Und um Pfründen drehte sich in der kurialen Registerüberlieferung fast alles. Erst die Existenz des Repertorium Germanicum hat es der modernen Forschung ermöglicht, den gewaltigen Umfang sowie die Mechanismen des spätmittelalterlichen «Pfründen-marks» zu erfassen. Geistliche Würden waren oft Handelsgut.

Brigide Schwarz untersucht die Schreiber-Kollegien an der päpstlichen Kurie. Die Papstbriefe (=Antworten auf ein entsprechendes Gesuch aus irgendeiner Diözese) wurden nach strengen Regeln erstellt. Der Aufbau einer Urkunde musste nach genauen Vorschriften erfolgen, auch die Datierung am Ende und die Formulierungen folgten ebenfalls strengen Vorschriften. Die päpstlichen Sekretäre fertigten die Entwürfe für die Briefe an (sog. Minuten, stichwortartige Notizen), die Schreiber waren für die genauen Ausfertigungen zuständig. Seit Innozenz III. (1198–1215) entwickelte sich eine einzigartige Organisation der Schreiber. Sie schufen eine Korporation, die die Dienstgeschäfte in eigene Regie nahm.

Diese ausgewählten Hinweise auf das reichhaltige Werk versuchen Anregungen zur Prosopographie zu erhellen und Zugang zu diesem Teilbereich der Mediävistik zu verschaffen.

Zitierweise:
Alois Steiner: Rezension zu: «Eure N amen sind im Buch des Lebens geschrieben». Antike und mittelalterliche Quellen als Grundlage moderner prosopographischer Forschung, hg. von Rainer Berndt (= Erudiri sapientia 11), Münster, Aschendorff Verlag, 2014. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 109, 2015, S. 402-404.

Redaktion
Autor(en)
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in
Weitere Informationen
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit